Spielerschutz Tätigkeitsbericht 2021

15 14 DIGITALER SPIELERSCHUTZ WISSENSCHAFT Interessanterweise hatten sich große Organisationen der Suchthilfe (z. B. DHS im Oktober 2019; fdr im Mai 2019 etc.) schon vor Beginn der Pandemie mit Themen der Digitalisierung in der Suchthilfe beschäftigt. Und nun erfolgte der plötzliche Druck, das Erfordernis an alle sozialen Fachkräfte, sich kurzfristig, Klientinnen- und Klienten-orientiert auf „digitales Neuland“ zu begeben. Irvin D. Yalom, ein 91-jähriger, sehr bedeutender amerikanischer Psychotherapeut, Psychiater und vor allem weltbekannter Autor von Fachbüchern sowie Romanen erzählt in seinen Memoiren (vgl. Yalom, 2017, S. 59 ff. und S. 395 ff.) von seinen Glücksspielerfahrungen und seinen digitalen Erfahrungen im hohen Alter.­ Er hat über 40 Jahre leidenschaftlich Poker gespielt, umfangreiche Erfahrungen mit illegalen Lottoangeboten erlebt und er liebte es auch im Alltag, oft zu wetten. Neugier und Erregung waren und sind für ihn charakteristische Verhaltensweisen. Und mittels dieser Eigenschaften gelang es ihm, wie vielen sozialen Fachkräften, seine Ablehnung, Skepsis u. ä. gegenüber der Digitalisierung in der Prävention, Beratung und Psychotherapie abzubauen. Er hat vor über 20 Jahren damit begonnen, Erfahrungen in der Video- und SMS-Therapie zu sammeln und deren Wirksamkeit erkannt sowie akzeptiert. Seit dem 1. Juli 2021 gilt der neue „Staatsvertrag zur Neuregulierung des Glücksspielwesens in Deutschland“ und seit dem 1. September 2021 betreibt die Gauselmann Gruppe die MERKUR SPIELBANKEN NRW. Nun gilt es, die Jahrzehnte an Erfahrungen im Bereich Spielerschutz im Unternehmen auf die vier Spielbanken in NRW zu übertragen und vor allem auch die aktuellen Digitalisierungstendenzen zu beachten. Bis dato war für viele soziale Fachkräfte, einschließlich der Spielerschutzfachkräfte, die Digitalisierung eher eine „terra incognita“ – ein unbekanntes Land, welches Unsicherheit, Unbehagen, Abwehr etc. erzeugt. Dies hat verschiedene Ursachen. Bisher fehlende digitale Medienkompetenz, welche in der Ausbildung und/oder im Studium unzureichend Beachtung erfährt. Fehlende quantitative und qualitative technische Ausstattung in den Präventions- und Beratungseinrichtungen und mancherorts eine unverständliche Technikfeindlichkeit, gepaart mit mangelnder Veränderungsbereitschaft. Bisherige Online–Angebote für problematische Glücksspielende beschränken sich zu oft nur auf die Ausgaben beziehungsweise Geldeinsätze sowie Verluste der Spielenden und die Suche im Internet gestaltet sich oft umständlich. Als Beispiele seien die folgenden Angebote genannt: www.check-dein-spiel.de www.neustart-spielerhilfe.de www.verspiel-nicht-dein- leben.de/playoff www.recovermeapp.co.uk Auf den aktuellen Internetauftritten der Spielbanken gibt es derzeitig noch wenige Hinweise auf zusätzliche digitale Präventions- und Beratungsangebote. Hier wird eine Ressource für den Spielerschutz zu wenig genutzt. Denn digitale Angebote bringen eine ganze Reihe von Vorteilen. Durch eine permanente Verfügbarkeit sind zeitnahe Interventionen besser möglich. Den Menschen bietet sich hier die Chance, anonym und ohne vorherige Registrierung einen schnellen Zugang zum digitalen Hilfsangebot zu erhalten. Sie können auch die Kommunikationsform nach ihren eigenen Präferenzen auswählen: Ob via Chat, per E-Mail oder Videocall. Die Angebote sind ortsunabhängig sowie kostenlos und es können verschiedene Zielgruppen wie Glücksspielende, Angehörige oder soziale Fachkräfte gleichermaßen erreicht werden. Die Krux: Aktuell werden diese Angebote noch nicht ausreichend im Interesse des Spielerschutzes genutzt. Obwohl ca. 95 % der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland einen Internetzugang und/oder ein Smartphone besitzt. Besonders bei jüngeren Glücksspielenden (18 bis 26 Jahre) ist eine zunehmende digitale Medienkompetenz zu konstatieren. Spielbanken sollten eventuell hauseigene Apps, Internetseiten u. ä. entwickeln, welche nicht nur die aktuellen Angebote des Standortes aufzeigen, sondern auch deutliche digitale Hinweise auf den Spielerschutz beinhalten. Diese könnten folgende Aspekte berücksichtigen: » Hinweise auf Risiken des Glücksspielverhaltens bezogen auf spezielle Glücksspielarten (z. B. Roulette, Poker mit Kompetenzanteil, Automatenspiele etc.) in Form von Kurzvideos, Erfahrungsberichten o. Ä. » Hinweise auf regelmäßige, feststehende Video–Sprechstunden der Spielerschutzfachkräfte (wobei diese geschulte, zertifizierte Online-Beraterinnen und -Berater nach den Standards der Deutschen Gesellschaft für psychosoziale Onlineberatung, DGOB e. V., sein sollten) » Hinweise auf die sofortige Möglichkeit der Vernetzung, Vermittlung in professionelle Hilfsangebote und/oder zu Selbsthilfegruppen o. ä. » Hinweise auf diese Internetseiten, Apps o. ä. direkt auf den Eintrittskarten zu den Spielbanken und zusätzlich an verschiedenen Örtlichkeiten (anonym) innerhalb des Hauses der Spielbank » Hinweise auf die App der Spielbank, wo eventuell die Häufigkeit der Spielbankbesuche im letzten Monat und Gesprächsangebote bei der Überschreitung eines selbst vorher gewählten Limits angezeigt wird Dies sind nur einige erste Überlegungen, um die Möglichkeiten der Digitalisierung im Bereich des Spielerschutzes verbessert zu nutzen. Seit 2005 ist der Autor als Leiter der Kölner Fachstelle Glücksspielsucht tätig. In diesem Zeitraum hat er über 3 500 Glücksspielende aus Köln und der Umgebung kennengelernt, welche sich wegen Problemen mit ihrem Glücksspielverhalten an die Beratungs- und Behandlungseinrichtung wandten. Bis 2019 fanden diese Kontakte fast ausschließlich „Face to Face“ statt. Vereinzelte Beratungen über das Telefon und via E-Mail rundeten das Angebot ab. Mit Beginn der Corona–Pandemie Anfang 2020 erfolgte ein notwendiges, sinnvolles, strategisches Umdenken. Ein Gastbeitrag von Dr. Wolfgang Kursawe M.A. »WELCHE CHANCEN BIETET DIE DIGITALISIERUNG FÜR DIE SUCHTPRÄVENTION?«

RkJQdWJsaXNoZXIy NjAxNTI=